Das Einrad bildet den Mittelpunkt und das Zentrum allen Tuns, Denkens, Handelns während einer UNICON. Des Einradfahrens wegen und für die Wettkämpfe mit diesem Sportgerät sind wir da. Es beschreibt eine deutliche Spur unserer Wege hier in Bemidji. Aber es gibt natürlich auch Erlebnisse und Wahrnehmungen neben dieser Hauptspur, Dinge, die mit dem Einrad gar nichts zu tun haben.
Zum Beispiel wohnen wir hier nur wenige Meter vom Mississippi entfernt, der gar nicht weit von uns dem Lake Itasca entspringt und hier im Süden in den Lake Bemidji fließt, um ihn nach Osten hin wieder zu verlassen. Und das passiert unmittelbar neben unserer Ferienwohnung und lud zu Paddeltouren ein.
Mississippi – damit verbanden wir bisher Südstaaten, Schaufelraddampfer oder Tom Sawyer, aber nicht den Norden Minnesotas. Nun sind wir schlauer und wissen, dass der Fluss 3778 lange Kilometer die USA einmal von Norden nach Süden durchquert, um dann rund 160 Kilometer südlich von New Orleans in den Golf von Mexiko zu münden. Dabei hat er auf der enormen Strecke ganze 450 Meter an Gefälle zu überwinden, sehr wenig. Das merkten all jene, die hier zum Fluß-Tubing aufgebrochen waren und mit ihren luftbefüllten Ringen kaum von der Stelle kamen.
Bewusst gewählt hatten wir die Anreise über Chicago. Zum einen, um nicht umsteigen zu müssen beim Fliegen, was das Risiko nicht mitgelieferter Gepäckstücke signifikant senkt. Zum anderen aber, um einmal zu erleben, wie die USA abseits der bekannten Metropolen und der infrastrukturell starken Küstenregionen aussieht. Knapp 1.000 km nordwestlich sind wir durchs Land gefahren und dabei durch Illinois, Wisconsin und Minnesota gekommen. Je weiter man sich von Chicago und dem Lake Michigan entfernt, um so dünner besiedelt ist die Landschaft. Nach überwiegend noch landwirtschaftlich genutzten Flächen in Illinois und im Osten Wisconsins, wo auch noch hin und wieder Ortschaften den Weg säumen, gelangt man immer mehr in Regionen mit überwiegend Brachland und nur kleinen Ansiedlungen, die über viele Kilometer von einander entfernt liegen. Ein, zwei Holzhäuser, dann wieder kilometerweit keine menschliche Behausung. Die Landschaft ist flach und monoton. Hin und wieder fängt ein See die Aufmerksamkeit der Augen ein. Und wenn man durch amerikanische Filme getriggert eine klischeehafte Vorstellung von kleinen Städtchen im Inneren der USA hatte – hier bekam man sie zu 100 Prozent bestätigt:
schnurgerade Straßen im Schachbrettsystem, Hauptstraße heißt Main Street, ein bis drei Ampeln, mehrere Tankstellen und Motels an den Ausfallstraßen, ein paar Bars, alle Gebäude maximal zweistöckig, Eigenheime in Leichtbauweise (viel Holz), wenig oder gar keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Stromkabel an morschen Holzpfosten befestigt, die zahllosen Werbetafeln hingegen an massiven Stahlmasten
Einkaufen in den USA – ein Erlebnis der besonderen Art. Schon 2014 in Montreal/Kanada beeindruckten uns die Lebensmittelpackungen in Mannschaftsstärke. Bei Milch, Wasser oder Saft macht das gewiss noch Sinn. Aber wer verbraucht eine 10 Kilo-Dose Mais oder Hachkfleischschläuche in Meterlänge?
40 Prozent aller Lebensmittel wandern in den Vereinigten Staaten auf den Müll, lasen wir. Schuld gibt man den Massenmärkten mit den Riesenpackungen. Die verschwendete Energiemenge würde reichen, um den weltweiten Hunger zu besiegen, war die Aussage des Textes. Bemerkenswert auch die Plastikmenge in den Supermärkten. Alles ist mehrfach mit diesem Material umhüllt, bevor es die Kassiererin dann noch einmal in Plastiktüten einpackt, natürlich nur maximal ein bis zwei Dinge pro Tüte, kein Behältnis ist annähernd voll.
Und draußen auf dem Parkplatz tuckern die Motoren der massigen Pick-ups munter weiter, damit man nach dem Plastik-Shopping-Rausch in ein angenehm kühles Auto steigen kann. Mindestens jedes zweite Auto auf Bemidjis Straßen war übrigens ein Pick up. Auch wir hatten einen gemietet, gegen die hier umherfahrenden Kolosse war unser Modell aber eher mickrig. Bei den großen Typen wird ein Verbrauch von 20 bis 25 Liter auf 100 Kilometer klaglos hingenommen und ohnehin jeder Schritt mit dem Auto gefahren, Fahrradfahrer und Fußgänger sah man nicht direkt im Übermaß.
All den Verpackungsmüll stopft man dann später gemeinsam mit Essensresten und anderem Abfall in nur eine einzige vorhandene Mülltonne. Trennen? Wiederverwerten? Fehlanzeige! Deutsche Klimakleber würden in Ohnmacht fallen. Auch Solaranlagen oder Windkrafträder fanden wir nicht, dabei hätte man den Platz dafür in Hülle und Fülle, und Sonne sowie Wind waren auch reichlich vorhanden. Dafür aber ist jedes Haus mit mehreren Klimaanlagen ausgestattet. Und mit riesigen, stromfressenden und lärmenden Haushaltsgeräten. Mit der Waschmaschine, dem Trockner und dem Backofen in unserer Ferienwohnung hätte man ein Business eröffnen können, und der Kühlschrank und die Spülmaschine röhrten wie nordamerikanische Elche um die Wette. Mit dem Blick auf die geringe Sensibilität für Nachhaltigkeit und Energiesparen hier in den USA und mit dem Abstand nach Hause wirkt das Vorhaben, vom winzigen Deutschland aus das Weltklima retten zu wollen, zuweilen etwas überambitioniert. Solange weite Teile der Welt nicht mitziehen, solange die Energiekosten hier so niedrig sind, bleibt das wohl ein Unterfangen mit wenig Erfolgsaussichten.
Außer in Plastik verpackt ist vieles an Essbarem hier dazu noch pappsüß
übertrieben üppig
und quietschebunt:
Viele Tiere haben uns hier besucht. Streifenhörnchen, Stinktiere, Rehe, Hasen, Biber, Schildkröte etc. waren jeden Tag zu Gast.
Auch ein ganz besonderes Exemplar war dabei, das sogenannte “Volundeer”, eine rare, scheue und seltene Spezies. Dieses hier hat es sogar geschafft, eins der immer zu wenig vorhandenen Helfer-T-Shirts zu ergattern – ein smarter Geselle:
Gar nicht gesehen haben wir Bienen. Wer dann wohl das Blütenbestäuben übernimmt? Auch Wespen gab es nicht. Nun, gefehlt haben die uns nicht direkt, aber in der Nahrungskette werden sie ja auch eine Rolle spielen. Dafür mangelte es nicht an Mücken. Schon an unserer Ferienwohnung wurden wir von diesen Plagegeistern gehörig belästigt, um Dimensionen ärger war es aber bei den Mississippi Headwaters am Lake Itasca, wo Belinda und Konstantin fast in die Flucht geschlagen worden wären, hätten nicht ein paar Einheimische sie mit einer Wunderflüssigkeit gerettet, nach deren Aufsprühen die Tierchen unmittelbar reglos vom Menschen abfielen. Man weiß wohl besser nicht, was dieses Wässerchen enthielt.
Wunderschöne Sonnenuntergänge erlebten wir am Lake Bemidji
… und am ersten Abend sogar eine Tornado-Vorwarnung. Bei dieser noch niedrigen Warnstufe blieb es aber zum Glück.
Überhaupt war unser Quartier ein Glücksgriff – eine schöne Ferienwohnung am Ostufer des Sees mit großer Terrasse, noch größerer Wiese davor, mit direktem Zugang zum Wasser und mit Paddelbooten und SUPs zur kostenlosen Nutzung.
Fast durchgehend freundlich sind die Menschen hier. Die wunderbaren Erfahrungen von Schottland toppte das zwar nicht, aber mit unseren vielen deutschen Mitmuffeln können es die US-Amerikaner allemal aufnehmen in der Disziplin Alltagsfreundlichkeit. Kurz vor der Abreise noch einmal erlebt am Flughafen in Chicago. Das Kontrastprogramm mit der Vorbereitung auf heimische Verhältnisse bot dann der Lufthansaflug von Chicago nach München. Da war eine Riege genervter, unprofessioneller, zickiger und gereizter Flugbegleiterinnen am Start und stimmte uns schon mal ein – leider.
Heute geht es zurück nach Hause. Die Zeit verging wie ein Wimpernschlag, wir würden durchaus gern noch ein Weilchen bleiben.
Eine Antwort zu “Neben der Spur erlebt”
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