„Ein Märchen gleicht einem Brunnen, dessen Tiefe man nicht kennt, aus dem aber jeder nach seinem Bedürfnis schöpft.“ Wilhelm Grimm

Mit diesem Zitat begann unser Weihnachtskür 2019. Es stammt von einem der beiden Grimm – Brüder, von Wilhelm, dem jüngeren.
Eine Umfrage ergab, dass fast jeder Mensch auf der Welt die Namen der beiden deutschen Sprachwissenschaftler und die von ihnen zusammengetragenen Märchen kennt. Ihre Märchensammlung gehört zu den am häufigsten gelesenen Büchern weltweit, und das war schon zu Zeiten so, als es noch keine weltumspannenden und die Menschen aufs Einfachste verbindenden sozialen Netzwerke gab. Was für eine Leistung! Übersetzungen in 160 Sprachen sind bisher nachgewiesen.

Eine der vielen von ihnen niedergeschriebenen Geschichten handelt von einem Mädchen, das als Waisenkind zwar noch auf dem ehemaligen Hof ihrer Eltern lebt, dort aber den Demütigungen der Stiefmutter, jener zweiten Frau seines verstorbenen Vaters, ausgesetzt ist. Im Original ist sein Name Aschenputtel, in der Version von Božena Němcová heißt es Aschenbrödel.
Božena Němcová war eine tschechische Schriftstellerin, die im 19. Jahrhundert lebte und um 1843 das Märchen „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ veröffentlichte. Zu unserem großen Glück griff es der Regisseur Václav Vorlíček auf. Ihm gelang mit dieser frischen Variante eine der schönsten Märchenadaptionen der Filmgeschichte. 
Bis heute gilt der Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ als einer der beliebtesten Märchenfilme aller Zeiten. Er wurde 1973 als eine Koproduktion zwischen den tschechischen Barrandov-Studios und der deutschen DEFA produziert. Václav Vorlíček gehört noch heute noch zu den wichtigsten und kommerziell erfolgreichsten Filmemachern des Kinderfilm- und Märchenfilm-Genres. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ gehört seit Jahren zum weihnachtlichen Fernsehprogramm der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland und ist alle Jahre wieder in vielen Häusern fester Bestandteil der weihnachtlichen Familientraditionen.

Angefangen hat alles das, was wir heuer in der Lage waren, an Tricks und Präsentation zu bieten, vor rund 10 Jahren mit einer Handvoll Sechs- bis Zehnjähriger, die einmal pro Woche in der Turnhalle der Garser Mittelschule quirlig ihre Runden drehten. Inzwischen sind die ersten Fahrer bereits erwachsen geworden, gehen beruflichen Zielen nach, befinden sich mitten in der Ausbildung oder starten gerade ihr Studium. Wir Übungsleiter haben sie ihre ganze Kindheit über begleitet, sind in der Pubertät mit ihnen zusammen „komisch“ geworden und erleben nun, da die holprigen Jahre vorüber sind, gereifte Persönlichkeiten auf dem Weg ins Leben. Die Dynamik in den Gruppen erfährt dadurch eine merkliche Veränderung, auf die es zu reagieren gilt und die auch uns Erwachsene noch Möglichkeiten zum Reifen und Lernen gibt.
Und wieder sind kleine, quirlige Fahrer da, die ihre ersten Versuche auf dem gar nicht so einfach zu beherrschenden Balance-Sportgerät bewältigen, welches anfänglich nur den Gesetzen der Schwerkraft zu gehorchen scheint, und so gar nicht das macht, was der Fahrer gern möchte. Ziemlich groß sogar ist heuer die Gruppe der Anfänger, die es nach einem Schnupperworkshop im April mit jener Sportart probieren wollte und nun tapfer darum bemüht ist, auf dem Sattel zu bleiben.
Diese gewaltige Alterspanne zu synchronisieren und bei unserer alljährlichen, großen Weihnachtskür unter einen Hut zu bringen, ist deshalb eine ambitionierte Aufgabe: Die Älteren können schweren Herzens nicht mehr jede Trainingseinheit wahrnehmen, weil Berufsschule ansteht oder Klausurphasen nahen. Die ganz Jungen kämpfen noch damit, sich einen Überblick über das komplexe Geschehen einer umfangreichen Inszenierung zu verschaffen. Aber so hat jeder seine ganz eigene Aufgabe zu bewältigen, und genau das macht den besonderen Reiz dieses Projektes aus. Groß mit klein, klein mit groß, voneinander lernen, partizipieren, nachsichtig sein, helfen und dann alle miteinander eine sehr emotionale Show erleben – das ist jede Anstrengung wert, lässt im Moment der Aufführung alle Mühen vergessen und überschwemmt uns alle Jahre wieder mit einer Welle von Glück. Diese bereits traditionelle Aufführung kurz vor dem Weihnachtsfest illustriert den Showpart der Sportart Einradfahren und vereint alle unsere Fahrer in einer gemeinsamen Aktion, eine sehr wichtige Komponente, um sich tatsächlich als ein Team fühlen zu können, obwohl man unterm Jahr zeitlich und räumlich voneinander getrennt übt.

Alle zusammen haben nun am 15. Dezember auf ihren Einrädern die Geschichte vom Aschenbrödel dargestellt, wobei wir uns im Erzählstrang ganz eng an die Filmvorlage gehalten haben:

Bitterkalt ist es an diesem winterlichen Morgen auf dem großen Gutshof. Es herrscht arbeitsames Treiben. Der König hat sich angekündigt und wird mit seinem festlich Zug auf dem Hof Rast machen. Die Stiefmutter ist in großer Aufregung ob der bevorstehenden gesellschaftlichen Ehre, will sie doch ihr Dorchen möglichst in den adligen Stand verheiraten.
Seit die Eltern des Aschenbrödels tot sind, hat die Stiefmutter den Gutshof übernommen und führt diesem mit harten Regiment. Dorchen, ihre leibliche Tochter, wird von der Stiefmutter bevorzugt und das Waisenkind Aschenbrödel von beiden mit jeder nur möglichen Arbeit gedemütigt.
Aus ihrem früherem Leben sind dem gutmütigen Aschenbrödel nur ihr stolzer Schimmel Nikolaus und eine kleine, silberne Schatulle geblieben, die sie auf dem Dachboden des Stalls versteckt. Dorthin zieht sie sich regelmäßig zurück, wenn sie die Tiraden der Stiefmutter nicht mehr erträgt. 
Trost findet Aschenbrödel auch bei Vincek, dem Knecht auf dem Hof. Er versteht Aschenbrödel und versucht ihr zu helfen, soweit ihm das möglich ist. 
Es bleiben nur noch wenige Stunden bis zur Ankunft des Königs, die Stiefmutter mahnt zur Eile und treibt ihr Bediensteten an. Für den König und seine Begleiter muss alles perfekt sein.

Heimlich hatte sich der Prinz mit seinem Begleitern vom festlichen Zug des Königs entfernt. Die Etikette, die staatlichen Formalien, all das ist dem jungen Prinzen zuwider. Viel lieber verbringt er Zeit mit seinen Begleitern bei der Jagd.
Zu gleichen Zeit und wohlwissend, dass die Stiefmutter ihr die Anwesenheit in Gegenwart des Königs verbieten wird, ist Aschenbrödel schon vor Ankunft des Königs mit ihrem Pferd Nikolaus vom Gutshof in den Wald geritten, um dort Ruhe vor der Stiefmutter zu finden.

Der König hat die Stiefmutter und Dorchen zum festlichen Ball auf sein Schloss eingeladen. Die beiden wollen dort natürlich in feinstem Gewand auftreten, schließlich sieht die Stiefmutter ihr Dorchen schon als zukünftige Prinzessin. Sie schicken also ihren Knecht Vincek los, um auf dem Markt in der nächsten Stadt nur die besten und teuersten Stoffe, allerhand Schmuck und Verzierungen einzukaufenund die neuen Kleider beim Schneider in Auftrag zu geben.
Aber Vincek wäre nicht Vincek, hätte er vor seiner Abfahrt nicht auch an das Aschenbrödel gedacht. Er fragt sie, ob sie sich denn auch etwas wünsche und sie bittet ihn: „bringe mir das mit, was dir auf deinem Weg vor die Nase kommt.“

Der Tag des königlichen Balls ist angebrochen. Voller Vorfreude und Aufregung putzen sich Stiefmutter und Dorchen heraus. Die neuen Kleider passen prächtig. Nur Aschenbrödel darf nicht mit zum Ball kommen, sie muss auf dem Hof bleiben und Arbeit verrichten. Als wäre das nicht schon alles schlimm genug, versucht die boshafte Stiefmutter sie mit allen Mitteln zu erniedrigen und dafür zu sorgen, dass Aschenbrödel den Hof nicht verlassen kann, sieht sie in ihr doch eine Gefahr, für die so erhoffte eheliche Verbindung zwischen Dorchen und dem Prinzen.

„Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht.
Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht.
Zum Dritten: Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.“

„Alles wiederholt sich nur im Leben, Ewig jung ist nur die Phantasie; Was sich nie und nirgends hat begeben, Das allein veraltet nie!“ , sagte Friedrich Schiller in seinem Gedicht „An die Freude“.

Er hatte recht. Was Fantasie vermag und Hingabe bewirken kann, haben die 35 Fahrer der Weihnachtskür 2019 aufs Eindrücklichste bewiesen.

Fotos © Belinda Bebst / www.belindabebst.de


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